Schmerzen wegdenken – Interview mit DDDr. Karl Isak in Heiler-Info 3-2013

Interview mit DDDr. Karl Isak
erschienen in Heiler-Info Ausgabe 3-2013

Schmerzen wegdenken

Unter diesem Titel erschien kürzlich Ihr Buch im Goldegg Verlag. Hört sich das nicht ein wenig nach „Wunderdoktor“ an? Nur „Hau ab, Schmerz“ denken und schwups ist alles gut?

Denken ist ein neurobiologischer bzw. neuropsychologischer Vorgang. Unabhängig davon, ob ich jetzt aktiv und bewusst an etwas denke oder einen sinnlichen Reiz aufnehme, werden immer Prozesse im Gehirn ausgelöst. Somit ist „Denken“ in einem etwas weiteren Sinne zu sehen und schließt unbewusste Vorgänge mit ein. In der Tat ist es längst wissenschaftlich bewiesen, dass Denkprozesse Schmerzen lindern bzw. zum Verschwinden bringen können. Die Placebo-Forschung verfügt über eine Vielzahl von Beweisen, dass es sich beim „Schmerzen wegdenken“ nicht um Humbug sondern um ein wissenschaftlich fundiertes Modell handelt. Als Empiriker ist mir der wissenschaftliche Bezug auch wichtig.

Es gibt Menschen, die scheinen weniger schmerzempfindlich zu sein als andere. Ist das so – und wenn ja – woher kommt das?

Zweifellos ist das Schmerzempfinden immer subjektiv und kann sogar situativ unterschiedlich sein. Auch hier spielen das Gehirn und die über „Denkvorgänge“ erzeugten Botenstoffe eine wesentliche Rolle. Wenn ich mich in einer akuten Gefahrensituation befinde, dann erzeugt das Gehirn z.B. Neurotransmitter, die einen allfälligen Schmerz unterdrücken. Umgekehrt können Depressionen das Schmerzempfinden steigern, weil z.B. schmerzlindernde Botenstoffe – wie das Serotonin – nicht ausreichend produziert werden. Ein weiterer möglicher Grund liegt in der Hinwendung zum Schmerz. Menschen, deren Leben sich nur mehr um den Schmerz dreht und eine eigene „Schmerzpersönlichkeit“ entwickeln, denken andauernd an den Schmerz und schaffen sich so eine Wirklichkeit. Andere, deren Fokus auf z.B. erfüllende Tätigkeiten konzentriert sind, verspüren weniger oder sogar keinen Schmerz mehr. Ich beobachte dieses Phänomen bei meinen Schmerzpatienten fast täglich, wenn ich sie mittels einer „Mentalpsychologischen Intervention“ in Gedanken eine freudvolle Szene durchspielen lasse. In solchen Phasen gibt es keinen oder zumindest fast keinen Schmerz.

Was geschieht eigentlich in unserem Körper, in unserem Gehirn, wenn wir Schmerzen empfinden?

Verbrennen wir uns zum Beispiel versehentlich mit einem Zündholz, dann wird das Signal (in diesem Fall Temperatur) über eigene Rezeptoren aufgenommen und über unser Nervensystem über das Rückenmark in das Gehirn geleitet. Dort wird die Information ausgewertet und es werden Befehle
z. B. an die Muskeln zurückgesandt. Das geht alles rasend schnell, so können wir reflexartig den Finger zurückziehen. Bei starken Schmerzen produziert unser Organismus – aufgrund der Befehle im Gehirn – körpereigene Schmerzblocker, die sogenannten Endorphine. Der Körper verfügt also über eine eigene „Apotheke“, die sowohl bei akuten wie auch bei chronischen Schmerzen in Anspruch genommen werden kann.

Wenn ein Mensch über längere Zeit Schmerzen hat, kann es zur Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses kommen, bei dem der Körper gewissermaßen selbst Schmerz produziert. Ist das nicht ein Teufelskreis?

Unser durchaus geniales Gehirn ist natürlich auch für unser Gedächtnis zuständig. Wir freuen uns, wenn wir etwas Neues lernen – und das geschieht u.a. auch durch Wiederholung oder indem wir einer Sache besondere Aufmerksamkeit widmen. Dann werden diese Informationen im Gehirn so abgespeichert, dass sie wieder gefunden werden. Beim Schmerz ist es nicht anders, nur dass wir uns darüber weniger freuen. Durch die neuen bildgebenden Verfahren können die Prozesse im Gehirn bereits sehr genau beobachtet werden. Wiederholungen lassen nicht nur z.B. fremdsprachige Vokabeln ins Gehirn „einbrennen“, sondern natürlich auch Schmerzen. Patienten mit chronischen Schmerzen denken beinahe durchgehend an diese und somit prägen sich jene Informationen nachhaltig im Gehirn ein. Alleine das Wort „Schmerz“ lässt im Gehirn das vorhandene Vorwissen zu diesem Begriff abrufen und lässt die Schmerzen erinnerlich werden. Deshalb muss eine erfolgreiche Schmerztherapie unter anderem auch vom Schmerz wegführen. Schmerzpatienten brauchen Ziele und Veränderungen, die eine positive Orientierung geben. Dann ist der Teufelskreis zu durchbrechen. Es kommt dadurch ebenso zu einer so genannten neuronalen Bahnung, die aber z.B. Glückshormone im Gehirn produzieren lässt, die sogar analgetisch (schmerzhemmend) wirken.
Das ist eine wichtige symptomorientierte Arbeit, die durch eine ursachenorientierte begleitet werden sollte. Denn auch der chronische Schmerz, der gerne als eigenständige Krankheit bezeichnet wird, hat eine Ursache und um diese aufzudecken bedarf es oft tiefenpsychologischer Methoden.

Lassen sich mit „Schmerzgedächtnis“ auch Phantomschmerzen erklären?

Schmerzen entstehen im Gehirn und der Phantomschmerz ist ein Beweis dafür, dass das Gehirn für das Schmerzempfinden verantwortlich ist. Beim Phantomschmerz handelt es sich um einen Schmerz, der amputierte oder gelähmte Gliedmaßen betrifft. Im Gehirn sind die Funktionalitäten des fehlenden Körperteils noch vorhanden. Dort ist alles gespeichert – auch der Schmerz, der diesen Körperteil einmal betroffen hat und aus der Sicht des Gehirns immer noch vorhanden ist. Bei Testpersonen mit amputierten Gliedmaßen registrierten die Forscher fast identische Aktivierungsmuster im Gehirn wie bei gesunden Menschen, die am gleichen Körperteil einen schmerzhaften Reiz erhielten. Diese Erkenntnis ist für den psychisch bedingten Schmerz von großer Bedeutung. Dies heißt nämlich nichts anderes, dass das Gehirn alleine auch Schmerzen an den verschiedensten Stellen im Körper „erzeugen“ kann, ohne dass von diesen Stellen vorher ein Signal an das Gehirn gesandt wurde.

Im Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen oder Verletzungen erscheint es uns nachvollziehbar, Schmerzen zu haben. Doch manchmal lässt sich physisch keine Ursache finden. Welche Meinung vertreten Sie hierzu?

Dieses Phänomen ist weiter verbreitet als man glaubt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass mindestens 30 Prozent der Hausarztpatienten ein so genanntes funktionales Syndrom haben – das ist eine Krankheit ohne körperlicher Ursache. Bei Rückenschmerzpatienten gibt es Vermutungen, dass diese Quote bis zu 80 Prozent beträgt. Die Psychosomatik bietet uns heute nachvollziehbare Argumente dafür an. Die Beweise sind eigentlich erdrückend, umso erstaunlicher ist es, dass der Psyche in der Schmerzbekämpfung eine untergeordnete Rolle beigemessen wird. So gibt es einen Zusammenhang zwischen Gewalt- und Missbrauchserfahrungen aus der Jugend und chronischen Schmerzen. Weiters steht wohl außer Zweifel, dass z.B. andauernde Kränkungen oder Erniedrigungen zu Krankheiten führen. Das Wort „Kränkung“ sagt ohnehin schon alles aus. In meiner eigenen Arbeit mit Schmerzpatienten konnte ich diese Zusammenhänge immer wieder sehen. Bei Rückenschmerzen finden sich eigentlich immer bewusste oder unbewusste Lasten, die man zu tragen hat. Bei all diesen Beispielen wird deutlich, dass es wichtig ist, die Ursachen aufzudecken und zu bearbeiten, sonst bleibt ein Schmerzpatient ein solcher. Chronische Schmerzen haben immer auch eine psychische Dimension – und zwar meiner Meinung nach ausnahmslos. Wohl mag ein Anlass gegeben sein – z.B. ein Unfall – aber daraus resultierende negative Folgen, die psychisch relevant sind, lassen den sinnvollen akuten Schmerz nicht mehr verschwinden.

Heißt das, dass auch emotionale Ereignisse, wie Liebeskummer körperlich empfunden Schmerz auslösen können?

Liebeskummer ist eine leichte Form von Depression und sollte wieder vergehen. Aber neuropsychologisch betrachtet, erzeugt die Depression eine verminderte Serotoninproduktion und Schmerzen werden nicht mehr ausreichend gehemmt – man wird definitiv schmerzempfindlicher. Wenn sich nun jemand in diese Enttäuschung tief „hineindenkt“, dann kann durchaus auch ein chronischer Schmerz entstehen. Chronische Schmerzen haben eigentlich immer mit vorhergehenden negativen Emotionalitäten zu tun – egal, ob diese lange zurückliegen oder z.B. in einer aktuellen Beziehung auftreten.

Forschungen zum Placebo-Effekt haben ergeben bzw. bestätigt, dass die positive innere Erwartung des Erfolgs einer Medikation, einer Operation und sogar das Vertrauensverhältnis zum Arzt wichtige Ursachen für den Placebo-Effekt sind. Wie nutzen Sie diesen Aspekt in der Therapie?

Der Placeboeffekt hat auch einen „Gegenspieler“ – den Noceboeffekt. Damit ist gemeint, dass negative Botschaften genau das auslösen, was die Botschaft meint. Das kann z.B. bei Diagnosen fatale Ursachen haben. Die Medizin kann bislang damit noch nicht wirklich umgehen – wie man z.B. von Menschen weiß, die mit einem positiven Krebsbefund konfrontiert werden. Im Rahmen meiner Therapie spielt deshalb das Modell der positiven Psychologie eine wichtige Rolle. Ich arbeite mit den Ressourcen der Patienten und stärke diese bzw. entwickle ich mit ihnen gemeinsam Felder der Veränderung und Ziele. Der Placeboeffekt bestätigt ja meine These, dass Gedanken Realitäten erzeugen. Das gilt für’s Negative wie auch für’s Positive. Schmerzpatienten haben grundsätzlich eine negative Orientierung und brauchen im Sinne des homöostatischen Ausgleichsbedürfnisses positive Programme. Diese müssen erst einmal im Kopf entstehen – sie müssen also erst einmal erdacht werden, bevor sie die Chance bekommen, Wirklichkeit zu werden.

Es gibt Erkenntnisse und Erfahrungen darüber, dass bestimmte Arten der Meditation, aber auch autogenes Training, Atemübungen, (Selbst-)Hypnose und anderes mehr, Schmerzen positiv beeinflussen und gar verschwinden lassen. Welche Therapiemöglichkeiten wenden Sie an, um psychische Ursachen und/oder das Schmerzgedächtnis zu „löschen“? Was ist das Besondere an Ihrer speziellen Therapieform?

Zweifellos gibt es mit psychologischen Methoden in der Schmerztherapie nachhaltige Effekte. Meine Methodik baut auf fünf Stufen auf und diese sind hierarchisch angeordnet. Es kann also schon sein, dass man z.B. die letzte Stufe gar nicht mehr benötigt. Diese letzte Stufe ist eine klassische Psychotherapie, die dazu dient, unbewusste Schmerzursachen aufzuspüren und zu verarbeiten. Hier arbeite ich mit der anerkannten Form der Katathym-imaginativen Psychotherapie, die sich bei chronischen Schmerzen bewährt hat. Vorab gilt es aber, eine Art „Selbstprogrammierung“ vorzunehmen, die dazu dient, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu werden und diese für Ziele und Veränderungen zu nutzen. Patienten mit chronischen Schmerzen, die unglücklich sind, haben in der Regel keinen Veränderungswillen. Die Konfrontation mit den eigenen Stärkenfeldern schafft recht schnell eine völlig andere Einstellung zum Selbst und auch die Bereitschaft zur Veränderung wird gestärkt. Eine solche ist aus zweierlei Hinsicht notwendig. Zum einen werden dadurch Denkprozesse geschaffen, die vom Schmerz ablenken und es kommt zu völlig anderen neuropsychologischen Prozessen im Gehirn – und zwar zu solchen, die positiv sind – und zum anderen ist die aktuelle Situation mit Schmerz verknüpft und eine Veränderung bzw. die Auseinandersetzung mit Neuem und mit Zielen schafft eine neue Welt. Wichtig ist mir, die bestehende Verbindung zwischen Schmerz und all den damit vorhandenen negativen Assoziationen aufzulösen. Denn der Schmerz ist natürlich negativ besetzt, allerdings sollten wir sehr froh darüber sein, dass wir in der Lage sind, Schmerzen zu empfinden. Denn der Schmerz hat sowohl in seiner akuten wie auch in seiner chronischen Form eine Botschaft. Der akute Schmerz hat eine Warn- und Signalfunktion, der chronische Schmerz sagt dem Patienten, dass eine Belastung zu be- und zu verarbeiten ist. Beides bezieht sich auf Veränderung und auf Eigenverantwortung. Wenn man z.B. einen akuten Schmerz los werden möchte, dann ruht man sich aus – man handelt also. Gleiches gilt auch für den chronischen Schmerz – man muss selbst handeln. Medikamente können in einem wie auch in anderem Fall das Handeln unterstützen, aber nicht ersetzen. Schließlich baut meine Therapie noch auf den Mentalpsychologischen Interventionen auf.

Was passiert eigentlich bei mentalpsychologischen Interventionen nach Ihrer Methodik?

Diese sind bestimmte und besondere Botschaften, die in einem hypnoiden Zustand (Trance oder Entspannung) vermittelt werden. Sie sind immer eine Fokussierung auf etwas Bestimmtes, das generell oder individualisiert gestaltet sein kann. Wenn z.B. ein Patient über Knieschmerzen klagt, dann gehe ich mit ihm in seiner Phantasie über eine Wiese und lasse ihn das Gefühl dieses Spazierganges in Gedanken erleben. Vielleicht wird daraus ein kleiner Dauerlauf. Das lädierte Knie spielt dabei keine Rolle, sondern das Erleben und die Gefühle. Im Sinne meiner These, dass Gedanken Wirklichkeit werden, sind solche Interventionen als vorweggenommene Realität zu sehen. Der Patient sieht und spürt seine Potentiale, „erlebt“ sie auch und sein Gehirn erzeugt Hormone, die eine positive Stimmung erzeugen. Diese Bilder werden in der Folge im Gehirn abgespeichert, erzeugen eine Erwartungshaltung, die auch zu einem schnelleren Therapieerfolg führen und nehmen die Wirklichkeit vorweg. Das Prinzip kennt eigentlich jeder. Wenn man sich ein neues Auto einer bestimmten Marke und Type kaufen möchte, dann sieht man plötzlich nur mehr diese Fahrzeuge auf der Straße oder schwangere Frauen sehen nur mehr Mütter mit Kinderwägen auf den Gehsteigen. Die mentalpsychologischen Interventionen schaffen zuerst eine mentale Wirklichkeit, die in der Folge umgesetzt wird. Sie sind eine Form des Denkens, bei der durch den Entspannungszustand eine Nähe zum Unbewussten hergestellt wird und somit auch Automatismen erzeugt. Die Tiefenpsychologie bzw. Sigmund und Anna Freud haben uns mit der negativen Seite der Abwehrmechanismen und seinen psychodynamischen Folgen den Beweis gegeben. Dass der umgekehrte – also der positive Aspekt ebenso funktioniert, zeigen Millionen Sportler, die mit solchen Methoden arbeiten.

Erlauben Sie bitte persönliche Fragen: Sie sind Psychologe, Pädagoge sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler – wie ergänzen sich diese scheinbar recht verschiedenen Qualifikationen? (Sind dies die drei Berufe, zu denen die drei Doktorgrade DDDr. gehören? Bitte einige Gedanken zu ihrem Werdegang und Beweggründe, diese Qualifikationen zu erlangen).
Sie haben eine Ausbildung in katathymer imaginativer Psychologie – „imaginativ“ erschließt sich noch fast von selbst, doch was verbirgt sich hinter diesem für Laien kaum zu buchstabierenden Begriff „katathym“?

Ja, ein holistischer Zugang war mir schon immer sehr nahe. Betrachtet man ein- und dasselbe von verschiedenen Positionen aus, ergeben sich völlig andere Resultate und das macht das Leben durchaus reicher. Zweifellos ist es heute wichtig, Spezialgebiete abzudecken – aber gleichzeitig ist es wohl auch wichtig, gesamtheitliche Zugänge zu erfassen. Die Beweggründe, sich mehreren Themen zuzuwenden, liegen wohl im Interesse am Vielen. Allerdings fokussiert sich alles auf den Menschen, der meiner Meinung nach derzeit in der Gesellschaft ein wenig zu kurz kommt. Der Mensch wird als Objekt instrumentalisiert, der Nutzen bringt und seine inneren Werte und Bedürfnisse scheinen immer mehr auf der Strecke zu bleiben. Wohl auch deshalb arbeite ich mit dem katathymen Bilderleben, denn katathym bedeutet „von der Seele kommend“ bzw. die Wirkung eines affektbetonten Komplexes auf die Seele. Damit wird wohl deutlich, dass wir uns m.E. stärker der Psyche des Menschen zuwenden sollten, denn der Mensch ist weit mehr als nur ein biologisches Konstrukt. Das zeigen auch die Erfolge meiner psychologischen Schmerztherapie.

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